21.07.2015 Goldendale – Yakima, 121 km

Die Nacht verbringen wir im Freien unter dem Dach des Geräteschuppens, zum Garten hin offen und natürlich jedem Ungeheuer ausgesetzt. Alani will zuerst nicht hier übernachten, doch nach einigem Zureden und erklären, das der Pyrenäen-Schäferhund für Ruhe und Ordnung sorgt, schläft auch sie sorglos durch die Nacht.

Punkt 6.00h, unser Wecker klingelt und der erwähnte Pyrenäen-Schäferhund steht 2 Meter vor uns und weckt uns mit seinem lauten Gebell. Er hat wohl die ganze Nacht gepennt und nicht gemerkt, dass in seinem Revier 4 unbekannte, menschliche Wesen ihren Schlaf gefunden haben. Er ist ganz aufgeregt, dass wir hier sind und so ist auch ziemlich schnell erkennbar, dass er sicher nicht uns beschützt hat während der Nacht. Was solls, wir wurden von keinen Koyoten gefressen, keine Wölfe waren hier und Bären schon gar nicht. Ob die eine oder andere Spinne über unsere Nasenspitzen gewandert ist, das können wir nicht wirklich beurteilen und ist somit auch kein Thema. Jedenfalls finde ich in meinem Schlafsack auch keine Schlange oder sonst ein Ungezifer.

Kaum stehe ich auf meinen Beinen, serviert uns Madisson einen warmen, schwarzen und feinen Kaffee. Wow, wir werden auf Schritt und Tritt verwöhnt und so können wir die ersten Sonnenstrahlen mit einer grossen Tasse Kaffee im Garten geniessen. Während des Aufräumens rufen uns die Kinder, das Morgenessen ist bereit. Also rüber ins Haupthaus und was sehen unsere immer noch verschlafenen Augen? Ein reichlich gedeckter Tisch mit allerhand feinen Zutaten. Vom Apfelmus, über Melonenschnitze (verschiedene Melonen) zu frischen Pfirsichen, frisch gekochtes Porridge, Rührei, Toast mit Konfitüre und und und. Wie haben wir das verdient, fragen wir uns auch heute Morgen wieder. Wir werden bedient wie die Könige und alles was auf dem Tisch steht, hätte wahrscheinlich auch die ganze Schweizer Armee verpflegen können.

Wir fühlen uns richtig wohl hier und es ist schwierig von diesem schönen Ort Abschied zu nehmen. Doch vor dem Abschied fragt uns Madisson ganz schüchtern, ob sie eventuell heute ein bisschen mit uns auf ihrem Fahrrad mitfahren könnte. Wie war das gestern? Gestern hat sie und ihre Mutter mit viel Gelächter erzählt, dass Madisson erst gerade ein neues Fahrrad gekauft hat und sie im Dorf unten ihre allerersten Velo-Meter gefahren sei. Mit mehr oder weniger dürftigem Erfolg – die Knie aufgeschürft und ein paar Randsteine angekratzt, sonst nichts. Und sie will nun mit uns mit fahren? Natürlich freuen wir uns riesig auf ihre Anfrage und so macht auch sie sich bereit. Wie kommt das wohl raus? Wir können uns dann doch noch von diesem herrlichen Anwesen, die Kinder vom einäugigen Hund und vor allem von Paulette trennen und fahren gemeinsam mit Madisson den Hügel runter. Schnell merken wir, dass sie das Fahrradfahren inzwischen gut gelernt hat und somit werden wir kaum Mühe haben, mit ihr ein bisschen zu fahren. Ich denke, ins 1 Meile entfernte Dorf wird sie es schaffen und dann werden wir uns verabschieden – falsch gedacht, sie wird die nächsten paar Stunden mit uns mitfahren.

Die Strasse ist heute der Highway 97, ein nicht sehr stark, aber mit schnellem Verkehr befahrenes Wegstück. Wir haben keine andere Wahl und gewöhnen uns schnell an den vorbei rauschenden Verkehr. Die Lastwagen weichen fast alle auf die äussere Spur aus um uns zu überholen, obschon wir auf einem ziemlich breiten Pannenstreifen fahren können. Die ersten paar Kilometer geht es mehrheitlich hinauf. Madisson ist immer mit dabei und lässt sich nicht anmerken, dass eventuell der Hintern schmerzen könnte – oder auch einfach nur die Beine. Ariane und ich haben im Moment mehr Mühe mit dem Sattelkontakt. Aber was solls, wir sind hier eh im Indianerland und Indianer kennen bekanntlich keine Schmerzen. Tatsächlich befinden wir uns nach ca. 20 Kilometer aufwärts fahren im Yakima Indian Reservation.

Auf halbem Weg zum Passübergang fahren wir zu einem Griechisch-Orthodoxen Kloster mit Einkaufsladen. Dieser befindet sich wirklich mitten im Wald wo keiner, aber auch wirklich keiner ein Kloster erwartet. Die sind so abgelegen, dass ich mir vorstellen kann, dass ihr Beschützer sie vielleicht auch hie und wieder vergisst. Sie machen aber alle einen guten Eindruck, so dass ich annehmen kann, dass eben dieser Beschützer momentan den Weg nach hier draussen gut kennt. Madisson macht auch nach diesem langen Aufstieg einen guten Eindruck und sie freut sich ebenso wie wir auf die bevorstehende Abfahrt. Also nichts wie los, wir lassen es sausen und erreichen über 60 km/h. Eine unheimlich lange Abfahrt steht uns bevor, die nächsten 15 – 20 Minuten können ohne zu trampeln genossen werden. Wir fahren in ein sehr ausgetrocknetes Tal, links und rechts nur verdorrtes Gras. Doch ein Highlight folgt bald, es sind wilde Pferde. Die leben hier zu hunderten und wir sehen immer wieder eine Gruppe davon. Alani ist natürlich hin und weg und wir erfreuen uns ebenso über diese rassigen Tiere.

Irgendwo, nach ca. 65 Kilometern, überholt uns Paulette. Sie ist auf der Suche nach ihrer Tochter. Wir haben keine SMS schreiben können, denn der Empfang ist auf einer gewissen Strecke einfach nicht möglich. Paulette hat sich einfach mal in den Wagen gesetzt und ist uns suchen gekommen. Kein Wunder hat sie sich Sorgen um Madisson gemacht, die ist ja wohl noch nie in ihrem Leben so weit auf einem Fahrrad gefahren. Beim Einladen ihres Fahrrades ins Auto hat sie dann doch noch ehrlich gesagt, dass sie müde sei. Aber vorher, als ich sie hie und da gefragt habe, da war alles noch in Ordnung. Wir trinken eisgekühlten Eistee von Paulette bevor wir uns alle zusammen verabschieden.

Nun sind wir wieder alleine und stehen vor einem ziemlich langen und gefürchig aussehenden Anstieg. Alles halb so schlimm, wir schaffen es relativ schnell mit einem Lächeln auf dem Gesicht (noch). Hinten geht es weit hinunter und fast bis ins Städtchen Toppenish. Hier essen wir unseren Lunch im City Park und trinken noch einmal so viel wie wir können. Hier in Toppenish rufe ich Doug an, ein Kollege von Therry und Patty, er solle sich vorbereiten, wir werden bereits heute in Yakima bei Therrys Haus vorfahren. Terry und Patty wissen überhaupt nichts von unserem Besuch und wir sind gespannt, wie die beiden reagieren werden. Das letzte Mal das wir sie beide gesehen haben, war im Dezember 2001 als wir ihre Schnee-Töffs und ihr Cabin in den Bergen benutzen durften.

Also nehmen wir nach gut 80 Kilometern noch einmal eine Etappe von über 40 km in Angriff. Zunächst kein Problem, doch nach ein paar Kilometern merken wir, dass wir noch leiden müssen bis zu unserem heutigen Ziel. Unsere Hintern schmerzen wie wild und langsam haben wir den heutigen Tag gesehen. Und dennoch schaffen wir es vor Pattys und Terrys Haus, wo wir uns bereit machen die beiden zu überraschen. Doch oh weh, niemand im Haus, niemand vor dem Haus, niemand auf der Terrasse. Also rufe ich Doug an und der hat ganz offensichtlich doch vergessen den beiden zu sagen, dass sie heute zu Hause bleiben sollen damit sie wieder einmal zusammen ein Bier trinken können (und wir als Überraschung auftauchen werden).

Doug kommt nach meinem Nachfragen bald ganz persönlich vorbei und bringt ein grosses Pack kühles Bier. Also setzten wir uns hin und trinken vorerst einmal ein Bierchen. Er versucht dann noch einmal Terry zu erreichen und siehe da, er antwortet. Sie seien beide auswärts am Essen, kommen aber in 10 – 15 Minuten zurück. Also verstecken wir unsere Velos hinter dem Haus und warten bis sie kommen. Als sie mit Doug auf der Terrasse stehen, schleichen wir uns nach vorne und gehen um die Ecke zu ihnen. Terry realisiert wohl im ersten Moment nicht wirklich wer nun vor ihm steht. Patty dagegen lässt ihre Autoschlüssel, ihr Geldbeutel und die Sonnenbrille fallen und fällt in einen Schreikrampf. Wir machen uns Sorgen, dass sie einen Kreislaufkollaps erleiden wird, doch alles wird gut. Sie können einfach nicht glauben, dass wir nach 14 Jahren urplötzlich und diesmal mit 2 Kindern vor ihnen stehen. Welch eine Freude!

Nach den festen Umarmungen wird sofort der Grill angestellt und Hamburgers werden gebraten. Es folgt ein lustiger und angenehmer Abend mit vielen schönen Erzählungen von dazumal. Vor genau 21 Jahren sind Ariane und ich, sowie ein befreundetes Päärchen, Terry, Doug und ein paar anderen Kollegen von ihnen in Las Vegas über den Weg gelaufen. Ein unvergessliches Fest dazumal, nicht nur seriöse Erinnerungen werden in uns allen wach – wir lachen uns die Bäuche voll…

Terry holt noch Mary, die 88jährige Mutter von Patty, die auf der anderen Seite der Strasse alleine in einem riesigen Haus wohnt und lebt. Sie sieht noch genauso aus wie vor 14 Jahren – und vor allem erinnert sie sich noch an so viele kleine Details welche wir ihr dazumal erzählt haben. Schön zu sehen, dass es ihr so gut geht. Leider ist Bob, ihr Mann, vor 3 Jahren verstorben, umso mehr geniesst auch sie unsere Anwesenheit und wir freuen uns, sie so fit anzutreffen.

Nun sind wir in Marys Haus einquartiert, alle in einem tollen Bett, frisch geduscht und ziemlich müde. Hätte ich nicht noch diesen Bericht zu schreiben, wäre ich auch schon seit 2 Stunden im Tiefschlaf. Aber nun muss und will ich doch auch in die „Tüte“. Leider hat die 88jährige Mary kein W-Lan und ich somit etwas Mühe die Fotos rauf zu laden. Sie kommen dann etwas später – vielleicht morgen an unserem ersten Ruhetag welchen wir hier in Yakima verbringen werden. Doug und Terry wollen am Abend eine kurzfristige Grillparty organisieren – wow, wie haben wir das nur verdient…