26.07.2015 Mineral Springs Campground – Leavenworth, 53 km

Die Nacht war bitterkalt. Am Morgen stehen 4.5 Grad auf meinem Thermometer – und der misst richtig. Brrrr, wir ziehen alles an was wir haben, denn alle von uns haben auch im Schlafsack gefroren. Während dem Ariane packt, kochen Lorin und ich Porridge und Kaffee. Anschliessend wird gegessen und das Zelt abgebrochen. Es vergehen trotz einigermassen koordiniertem Ablauf 2 Stunden bis wir auf den Fahrrädern sind. Um 8.30h fahren wir los.

Die ersten 5 Kilometer fahren wir auf dem Highway, auf welchem wir schon gestern rauf gefahren sind. Der Verkehr ist einigermassen i.O., wobei für uns schon zu viel. Zum Glück können wir nach eben diesen 5 Kilometern links auf die alte Passstrasse abbiegen. Von nun an geht es steiler, jedoch ohne jeglichen Verkehr. Die Strasse wird von beiden Seiten von Büschen und Bäumen langsam eingenommen. Für uns spielt das keine Rolle, wir haben noch genügend Raum für unsere Bikes. Es ist ruhig und wir können viele Squirrels beobachten. Weiter oben sogar ein paar Rehböcke, welche sich den Weg durch den Wald suchen. Unglaublich diese Stille nach dem viel befahrenen Highway. Die Aussicht welche sich uns präsentiert ist atemberaubend. Kilometerweit schauen wir über die Berge und wir sehen nur Pinien soweit das Auge reicht. Genau für solche Momente sind wir hier drüben, dies findet man in Europa nirgends (wenigstens nicht dort wo wir schon waren, Tipps sind herzlich willkommen).

Hier wird auch Rennrad gefahren, zwei „Gümmeler“ überholen uns auf dem Weg nach oben. Mit einem hochachtungsvollen Blick Grüssen sie uns und meinen, „heavy load you got up here“. Tatsächlich schleppen wir ein bisschen mehr Kilos mit nach oben wie die beiden. Unsere Pneus und vielleicht noch die Sättel wiegen wahrscheinlich schon mehr als deren Carbon-Bikes. Wobei sich das natürlich auch wieder relativiert, wenn man ihre etwas grösseren Bäuche anschaut [smile]. Obwohl es hier ziemlich steigt und wir schnaufen und schwitzen sagt Ariane – genau für solche Strassen bin ich hier, schöner könnte es nirgends sein. Ok, ich sage nur – freu dich auf unsere Pässefahrt im Herbst, dort wird es auch schön. (Hallo Fränzi, Joli, Patrizia und Heinz – seid ihr am Trainieren??? ;-)))

Oben angekommen haben wir das Gefühl, dieser Pass war jetzt ziemlich easy. Nicht dass wir hier angeben wollen, es geht einfach darum, dass wir keinen Verkehr hatten, eine gewaltige Aussicht geniessen konnten und die Strasse im Wald mit den vielen Tieren einfach die Anstrengung vergessen lässt. Es ist sicher nicht einfach locker hier rauf zu fahren, aber mit all diesen tollen Umständen fühlt man sich nur gut und ist voll und ganz zufrieden. Auf der anderen Seite geht es ziemlich steil runter und aufgrund der nicht mehr gewarteten Strasse müssen wir hier und da auf Löcher im Teer achten oder auf Steine die mitten auf der Strasse liegen. Es ist ziemlich kühl, aber die Konzentration und das Bremsen wärmt uns auch etwas auf.

Nach einer wirklich tollen Abfahrt treffen wir wieder auf den neuen Highway und uns entgegen radelt eine Gruppe von 6 – 7 Gümmeler. Einer dieser total fit aussehenden Truppe – ohne grosse Bäuche und mit eisernen Wadlis – hält bei Ariane und Lorin an und sagt, „I’m so impressed with your bikes and your heavy load – I have to shake your hands“. Wiederum ein Gümmeler, der mit grösster Hochachtung die Hände schütteln will. Nach dem Handshake ist er sofort wieder auf dem Rad und strampelt zu seiner Gruppe – kein anderes Wort. Das lässt das Herz schneller klopfen, und vielleicht auch die Brust anwachsen. Ja, wir können sicher stolz sein – aber immer wieder denken wir, wir machen hier nichts unmenschliches. Wenn man es will, dann kann es jeder…

Auf den neuen Highway treffen wir auf einen schönen Rückenwind. Wie ich es gestern geschrieben haben, irgendwann werden wir auch wieder belohnt. Und wir radeln mit schönen 30 Stundenkilometer die nur 2 % abfallende Strasse runter. Herrlich! An einem Frucht und Gemüsestand stoppen wir und kaufen ein Pfund zuckersüsser, gelber Kirschen. Mmmmmh, schmecken die gut. Wir machen einen kleinen Kirschenspuck-Wettbewerb und wer weiss, vielleicht wachsen in ein paar Jahren auf diesem kleinen Rasenstück ein paar Kirschbäume. Locker geht es weiter, bis wir zur Abzweigung nach Leavenworth kommen. Ein kleines, absolut touristisches Städtchen inmitten der Berge welches den Bayrischen Styl aufrecht erhält. Wir haben gemeint, es waren deutsche Auswanderer, welche dieses Städtchen aufgebaut haben. Doch später lernen wir, dass diese Stadt nachdem der Gold (oder war es Kohle) Abbau eingebrochen ist, dem Zerfall geweiht war. Ein cleverer Geschäftsmann in den 60ern hatte die Idee, alle Häuser zu renovieren und den bayrischen Styl rein zu bringen. Heute hat jeder Amerikaner das Gefühl, er sei hier in Bayern. Tatsächlich sind die Restaurants, Bäckereien und andere Geschäfte in deutscher Sprache angeschrieben. Alle in der gleichen Schriftart, irgendwie Altdeutsch oder so. Sogar die modernen Ketten wie Mc Donalds, Safeway (eine grosse Lebensmittelkette hier in den USA) etc. sind von ihrer Corporate Identity abgewichen und brauchen Altdeutsche Buchstaben für ihren Schriftzug.

Hier oben checken wir in den KOA Kamping (ja, mit ‚K‘ – das ist eben deren Corporate Identity) ein. Wir werden wieder einmal abgezockt, für einen einfachen Zelt-Stellplatz ohne irgendwelche Extras wie Strom oder so, bezahlen wir 55 US$. Tja, es gleicht sich ja dann aus wenn ein 25 Meter langes Motorhome mit Klima, TV, Kühlschrank, Waschmaschine etc. für das gleiche Geld einen Platz belegt. Ok, wir geniessen nach dem Aufstellen des Zeltes den Pool, d.h. die Kinder geniessen ihn mehr als ich, denn ich finde es immer noch irgendwie kühl, obschon wir wieder viele Meter an Höhe verloren haben (über 600 Meter sind wir tiefer als auf dem Pass).

Und nun machen wir uns auf ins Städtchen. Wir haben noch einen Termin, den wir nicht verpassen wollen. Wie ich gestern bereits geschrieben habe, wollen wir uns mit zwei anderen Tourenradlern treffen. Kathy und Steve – ich habe letzten Sommer jeden einzelnen Reisebericht von ihrer TransAmerica Tour gelesen. Wunderbare Geschichten und herrliche Bilder (Christian und Marianne, ich habe euch von ihnen erzählt – http://www.crazyguyonabike.com/smcdermott). Und nun sind die beiden auf einer knapp 5 monatigen Fahrradtour entlang der Cascade Mountains. Die beiden wohnen in Arizona und entfliehen jedes Jahr während 4 – 5 Monaten der Hitze in Phenix. Ich glaube, ich muss irgendwann auch dorthin ziehen, dann kann ich auch die Ausrede benutzen, während 1/3 Jahr der Hitze zu entkommen… Muss mal mit der Familie sprechen 😉

Wir treffen die beiden inmitten tausenden von Touristen. Alani und Lorin sagen, das sei wie in Zermatt. Klischee Häuser und viele Touristen – genau das ist es hier oben. Der erste Satz von Steve ist – „did you know we meet in Disney Land?“. Genau so kommen wir uns vor, wie im Disney Land. Aber sicher nicht wie in Bayern. Ist ja nicht weiter schlimm, Hauptsache wir treffen uns irgendwo und wir haben eine gute Zeit zusammen. Und die haben wir… Die beiden bewundern uns – und wir bewundern sie. Was gibt es schöneres als im Rentenalter die Welt per Fahrrad zu erkunden? Na gut, ich weiss schon, jetzt werden viele von euch sagen – „ja, es gibt viiiiel Schöneres“. Aber mal ehrlich, mit 65 Jahren, fit auf einem Fahrrad, in einem perfekten Tempo die Welt zu entdecken? Gemütlich, ohne Stress und Endziel? Die beiden übernachten in Hotels und geniessen einfach was sie tun. Wir essen zusammen eine feine Pizza und quatschen und quatschen – das Thema ist gegeben… Natürlich haben sie auch Fragen über die Schweiz und über unser Leben. Sie wollen nächsten Sommer in paar Monate in Europa verbringen – sie versprechen uns, auch uns besuchen zu kommen. Und wir glauben ihnen aufs Wort! Sie sind so begeistert von uns, dass sie uns zum Abendessen einladen – wow, welch tolle Leute das doch sind. Wir revanchieren uns mit einem Dessert, einem Eiscreme in „Mozart’s“ direkt neben dem Shop „Matterhorn“. Ich dachte, wir sind hier in Bayern, aber meines Wissens wurde Mozart doch in Salzburg, also Österreich geboren und wenn ich in der Geographie gut aufgepasst habe, glaube ich, dass das Matterhorn auch nicht ganz auf bayrischem Boden steht. Na ja, man muss es nur gut verkaufen…

Ein toller Abend und irgendwann müssen wir uns auch verabschieden. Schade, aber immerhin hatten wir in paar Stunden zusammen. Wir freuen uns schon jetzt auf ihren Besuch in der Schweiz. Und nun ist hier auch schon wieder dunkel und richtig kühl – ich verzieh mich wohl auch besser ins Zelt… Es geht uns prächtig!

PS: Bilder kommen später…