29.07.2015 Chelan – Winthrop, 103 km

Die Nacht war ruhig, der Morgen umso lauter. Direkt hinter unserem Zelt führt die Hauptstrasse durch und ab 5.00h nimmt der Verkehr zu. Die scheinen früh an die Arbeit zu gehen, wir können ab halb sechs nicht mehr schlafen. Also stehen wir auf und beginnen mit Packen. Wir sind bald einmal damit fertig und fahren um 7.00h los, um beim nahen Supermarkt einen Kaffee und etwas zum Frühstück zu kaufen. Vor dem Supermarkt gibt es Tische und Stühle und wir geniessen gemütlich unser Frühstück während wir den Leuten zuschauen wie sie ihre Kühlboxen hinten auf ihren Pickups vom Schmelzwasser des gestern eingefüllten Eises befreien und sie mit neuem Eis beladen.

Die Fahrt geht zuerst einmal einen Hügel rauf und wir schwitzen schon zum ersten Mal. Gestern haben wir von unserem nächsten Warmshower-Host, bei dem wir heute Abend übernachten dürfen, per Email erfahren, dass wir eine Route durch die Berge und gänzlich ohne Verkehr nehmen sollen. Welch ein toller Tipp, die ca. 15 Kilometer durch die wunderschöne und vor allem ruhige Landschaft ist ein wirkliches Highlight. Und erst die Abfahrt runter an den Columbia River – herrlich. Beim nächsten Staudamm machen wir unsere erste Pause. Ein sehr gepflegter Park mit Toiletten und verschiedenen Informationstafeln wird vom Elektrizitätswerk den vorbei fahrenden Leuten angeboten. Die Pause ist nur kurz, denn der nächste Tipp vom Host wollen wir möglichst bald aufsuchen. In Pateros, einem kleinen Städtchen wo wir den Columbia River definitiv verlassen werden, gibt es eine tolle Bäckerei, hat er uns geschrieben. Also nichts wie los.

Nach ca. 30 Kilometern stoppen wir direkt vor der genannten Bäckerei und drinnen werden die leckersten Sachen angeboten. Die riesigen Zimtschnecken können sich nicht vor uns verstecken und auch die Kinder finden herrliches Süssgebäck. Draussen geniessen wir unser zweites Frühstück und machen ein Update auf der Website mit den Bildern der letzten zwei Tage. Während dem telefoniert Ariane und die Kinder mit der Schweiz. Einige Leute interessieren sich für unsere Tour und unsere Fahrräder. Daraus ergeben sich einmal mehr tolle Gespräche – einfach so wie es sein muss. Nach etwas mehr als einer Stunde Pause, machen wir uns auf die Weiterfahrt. Nun fahren wir dem Methow River entlang, ein prächtiger Zufluss zum Columbia River. Wir geniessen die Sicht auf den glasklaren Fluss, einmal von weiter oben und einmal von ganz nah. Das heisst, dass wir immer wieder einen kurzen Aufstieg bezwingen, aber auch mal eine Abfahrt geniessen können. Der Fluss erinnert uns sehr stark an die Sense, wobei mir persönlich dieser hier einfach noch viel besser gefällt.

Es wird heiss auf der Strecke, heute knacken wir einmal mehr die 40 Grad Marke. Schwitzen ist gesund, aber es kann auch anstrengend werden. Doch nach weiteren ca. 1 ½ Stunden radeln, erreichen wir das Städtchen – oder besser gesagt den Country Store von Carlton. Wir stürmen rein und schnappen uns eine 2 Liter Mountain Dew Flasche aus dem Kühler. Sofort wird sie mitten im Laden geöffnet und wie als wären wir die letzten 3 Tage durch die Sahara gelaufen wird die Flasche in kürze geleert. Wir schnappen uns eine zweite 2 Liter Flasche und bezahlen vorerst einmal den verursachten Schaden. An einem Tisch, welcher in einer Ecke des Ladens steht, setzen wir uns und essen einen frisch zubereiteten Hot-Dog. Wenn uns jemand beobachtet hätte, der hätte sich wohl gefragt aus welcher unzivilisierten Ecke wir vier wohl kommen. Aber es beobachtet uns niemand und ausserdem haben wir einfach Durst und Hunger.

Wir fahren ein kurzes Stück zurück und runter an den Fluss. Vorhin, als wir zuerst zum Country Store gefahren sind, haben wir von der Brücke aus einen ganz schönen Strand und vor allem einen tollen Pool im Fluss gesehen. Diesen wollen wir nun austesten. Welch eine Erfrischung, einfach wunderbar. Mit gekühlten Körpern geht es nun weiter, wiederum an der über 40 Grad heissen Sonne durch ein spärlich und doch für diese Gegend relativ gut besiedeltes Gebiet. Mit dem Fluss immer zu unserer Seite ist es einfach unbeschreiblich wie schön es ist. Vor uns öffnet sich eine endlose Weitsicht, weit hinauf in die Berge. Es ist alles sehr trocken hier, und schon seit vielen Kilometer bestaunen wir ein unendlich scheinendes Gebiet, welches letztes Jahr abgebrannt ist. Viele tausend Bäume stehen nur noch als verkohlte Pflöcke in der Gegend rum. Ein imposanter, jedoch leider auch etwas trostloser Anblick.

Nach weiteren 15 Kilometern im Städtchen Twisp machen wir wieder eine Pause, diesmal wieder vor einem Supermarkt. Ariane und ich schütten je 1 Liter Iso-Getränke runter, Alani und Lorin begnügen sich mit einem 3 dl GLAS-Fläschchen Coke. Eine Cola Flasche, wie wir sie vor ca. 25 Jahren zuletzt in der Schweiz gesehen haben. Ich bin kein Cola Trinker und wer weiss, vielleicht gibt es diese typischen Cola Flaschen immer noch in der Schweiz. Aber ich kann mich eigentlich nur noch an PET-Cola-Flaschen erinnern. Und nun warten noch die letzten 15 Kilometer auf uns. Unsere Hintern schmerzen nach den bisher 88 zurückgelegten Kilometern schon ziemlich. Aber auf die Zähne beissen und weiter, unser Host wartet auf uns. Wie es wahrscheinlich per Zufall üblich ist, wohnt auch dieser Host zuoberst an einem Hill, also Hügel. Und tatsächlich, die letzten ca. 200 Meter verlangen noch einmal alles von uns ab, eine ca. 12 % Steigung, vorher gibt es keinen Feierabend. Doch oben werden wir herzlich von Carolyn und Tom empfangen. Es gibt gerade mal ein Glas Wasser und sie zeigen uns voller Stolz ihren ziemlich überladenen, unaufgeräumten und schmuddeligen Keller, in dem wir übernachten können. Neben all den nicht ganz rühmlichen Eigenschaften ist es schön kühl hier unten und eigentlich sind wir ja nicht anspruchsvoll. Carolyn und Tom verabschieden sich, Carolyn hat noch einen Auftritt mit ihrer Band unten in Twisp. Sie klappert mit Holzlöffeln, so wie wir das ungefähr von den Appenzellern kennen (sind es die Appenzeller???) Allein gelassen richten wir uns ein. Lorin entdeckt unter einem riesigen Haufen unnötig angesammelten Schnick-Schnack oder eher Abfall einen Billard-Tisch. Schnell wird der „Abfall“ unter den Tisch geräumt und die Spielfläche von einer ca. ½ cm dicken Staubschicht befreit. Und dann nichts wie los hinters erste Spiel.

Nacheinander duschen wir uns, während die Waschmaschine wieder einmal für unsere Kleider am Laufen ist. Nachdem die Wäsche gewaschen ist, hängen wir sie hinter dem Haus auf und anschliessend machen wir uns zu Fuss auf den Weg ins Städtchen. Wie man sagt, handelt es sich beim Städtchen Winthrop um ein typische Westernstadt. Und siehe da, tatsächlich sieht es hier aus, als wäre vor ein paar Stunden die letzte Postkutsche, flüchtend vor ein paar Banditen, durchgerauscht. Würden nicht so viele Autos vor den tollen Häusern parkieren, man würde in jedem Moment erwarten, dass zwei unrasierte Typen aus dem Salon torkeln und sich mitten auf der Strasse für ein endgültiges Revolver-Duell aufstellen. Aber leider vermiesen die heutigen metallenen und eigen angetriebenen Luxuskutschen das Strassenbild…

Wir essen in einer authentischen Bar resp. im Restaurant neben der Bar, denn Kinder dürfen keinen Schritt in den Teil der Bar machen. Dies erfährt Lorin höchst persönlich, als er sich nach der Toilette ganz weit weg von der Bar, vor den Billardtischen auf einen Hocker setzt und dem Baseball-Game im TV zuschaut. Die Barkeeperin entdeckt ihn plötzlich und ruft wie eine Furie nach hinten, dass der Junge dort nichts in ihrem Revier zu suchen habe. Ganz erschrocken und enttäuscht kehrt Lorin zu uns an den Tisch zurück. Er hätte doch nur das Baseball-Game anschauen wollen. Halb so schlimm, schon bald wird uns eine unmenschlich grosse Portion Natchos serviert. Genau so unmenschlich verzehren wir diese Portion, während dem schon der nächste Riesenteller serviert wird. Ein Cesar-Salat, wir essen alle davon und sind eigentlich schon satt. Doch nun kommen noch die bestellten Burgers. Einmal mehr essen wir wie die ausgehungerte Piratenmannschaft von Jack Sbarrow.

Mit vollen Bäuchen spazieren wir noch auf den Holzplacken vor den Häusern das Städtchen rauf und auf der anderen Seite wieder runter. Und nun darf auch das Eiscreme wieder nicht fehlen – es geht uns wieder einmal bestens.