01.08.2015 Lone Fir Campground – Newhalem, 88 km

„Happy 1st of August“

Der Wecker reisst uns aus dem tiefen Schlaf. Obschon wir gestern alle um 20.15h in unseren Schlafsäcken waren und ziemlich schnell eingeschlafen sind, könnten wir noch länger schlafen. Aber wir wollen heute früh los, damit wir noch in der Morgenfrische auf den Pass fahren können. Es ist genau 4.45h – die Kinder lassen wir noch ein bisschen schlafen, während wir unsere Schlafmatten und Schlafsäcke einpacken. Die Kinder kommen trotz des relativ kalten Morgens recht schnell aus ihrem Schlafsack. Toll wie sie mitmachen und auch heute wieder motiviert sind. Klar, gerade rumgehüpft wird nicht, das Erwachen dauert noch ein bisschen an. Aber doch starten sie erwartungsvoll in den Tag.

Zum Frühstück können wir heute nicht viel bieten. Einerseits haben wir gestern auf viel Mehrgewicht verzichten wollen, andererseits konnten wir in dem Bio-Laden leider keine Instant-Porridges kaufen. Auch sonstiges Frühstück wie wir es kennen und brauchen hätten können gab es dort nicht. Ariane isst das letzte Päckchen Outmeal (Porridge), was aber nur eine halbe Portion ist. Die Kinder sind noch nicht hungrig und ich fahre mit einem warmen Kaffee im Bauch los. Es ist 6.15h und nur gerade 8 Grad kühl. Aber vom ersten Meter an geht es mit ca. 6 % Steigung los – und das während den nächsten 11 Kilometern. Weit oben sehen wir, wie die Sonne an die tollen Felsformation anstrahlt, es ist ein herrlicher Morgen. Kein Verkehr weit und breit – na gut, vielleicht alle 10 Minuten kommt ein Auto von hinten oder von vorne. Aber wir haben die Strasse sozusagen für uns. Schon bald ziehen wir unsere langen Kleider aus, obwohl es noch keine 13 Grad warm ist. Aber Schwitzen tun wir so oder so.

Für die ersten 11 Kilometer brauchen wir ziemlich genau 2 Stunden, mit zwei kurzen, je ca. 5 minütigen Pausen. Just bei unserer Ankunft oben auf dem Pass, kommt die Sonne hinter den Berggipfeln hervor – wir haben also das Rennen gewonnen. Und für die Abfahrt sind wir froh, wenn’s etwas wärmer wird. Doch vor diesem Vergnügen, sehen wir uns vom Viewpoint noch die wunderbare und unglaubliche Bergwelt an. Zwar müssen wir noch einen Zusätzlichen Aufstieg zu diesem Punkt meistern, aber wenn wir schon mal hier sind, nehmen wir auch das auf uns. Und wie sich das gelohnt hat. Einfach phantastisch dieses Panorama!

Nach einer ca. 30 Minuten Aussichtspause fahren wir los, ca. 3 Kilometer ziemlich steil und vor allem schnell (mein Tacho zeigt über 75 km/h bevor ich aus etwas Respekt langsam die Bremsen ziehe). Bei einer Ausweichstelle will ich auf Ariane und Lorin warten und was sehe ich hinter der nächsten Bergkette? Wow, das sieht ja aus als wäre ein Vulkan ausgebrochen. Eine riesige Wolke, welche sich hoch in den Himmel türmt. Also eine Gewitterwolke kann es bei diesem Tag nicht sein, weit und breit keine anderen Wolken sind zu sehen. Ich bin mir zuerst wirklich nicht sicher, ob es sich um einen Vulkanausbruch handelt, denn wir stehen ja sozusagen auf einer Vulkankette. Doch irgendwie kann ich das kaum glauben und muss annehmen, dass in der Nähe nun doch ein Waldbrand ausgebrochen ist. Wir finden es heute nicht raus, resp. hören schon, dass wieder ein neuer Waldbrand ausgebrochen sei, aber ob es sich um diesen handelt, das wissen wir nicht. Wir fahren zum Glück in die andere Richtung. Leider ist die Schussfahrt schon bald zu Ende und es geht noch einmal ca. 2 Kilometer steil den Berg hinauf. Diesmal auf den Rainy Pass. Wir sind zwar langsam, aber dennoch bald oben und biegen direkt auf den Rastplatz mit schönen Tischen und Bänken zwischen uralten Bäumen ein. Hier essen wir was wir noch übrig haben, 2 Äpfel, ein paar verdrückte und schon einige Tage alte Bisquits, etwas Studentenfutter, einige Darvidas welche es von der Schweiz bis hierher geschafft haben und noch einen Farmerstängel, welcher auch bis jetzt überlebt hat. Mehr haben wir nicht, ausser noch ein Pack Teigwaren, welche wir uns aber noch sparen. Man weiss ja nicht so genau was noch kommen wird.

Die Pause ist nicht allzu lang, und nun geht’s auf die richtige Abfahrt. Doch bevor wir so richtig Schuss aufnehmen können, watschelt vor uns noch ganz gemütlich ein Stachelschwein über die Strasse. Wow, auch dies haben wir in all unseren Amerikareisen noch nie gesehen – also lebend meine ich. Ein cooles Tier, welches auch bei unserem Näherkommen nicht schneller geht. Leider bin ich irgendwie zu aufgeregt um ein gutes Bild zu machen… Also, nun geht’s runter. Die nächsten 25 Kilometer können wir‘s fast ohne zu Pedalen einfach sausen lassen. Wahnsinn diese Abfahrt. Doch irgendwann hört der Spass halt wieder auf und es folgt wieder eine ca. 2 Kilometer lange Steigung. Diesmal bereits wieder bei über 35 Grad Hitze. Und nun wird es wieder schwierig – aber wir schaffen auch das und auch die nächsten paar solchen Steigungen kämpfen wir uns irgendwie hinauf.

Wir haben zwischendurch phänomenale Aussicht auf den Diabolo-Lake und die umliegenden Berge. Heute fahren wir wirklich durch die schönste Landschaft auf der bisherigen Reise. Na klar, wir befinden uns ja auch in einem Nationalpark „North Cascades“. Die Strasse wird leider enger und die Autos dichter. Es ist Samstag und die Städter aus Seattle und Umgebung machen gerne Weekendausflüge in diese Gegend, ich kann es ihnen nicht verübeln. Aber heute haben wir gerade ein paar Mal eine ziemlich enge Angelegenheit – zum Teil sollten sie mit ihren Riesenanhänger und Camper eine Fahrprüfung machen müssen. Aber es ist ja zum Glück nichts passiert. Bei einer weiteren Ausweichstelle muss Ariane aufgrund ihrer verrutschten Linse anhalten und sie wieder richten. Sie will sie wegen des Windes nicht aus dem Auge nehmen, muss es aber dann doch, weil sie irgend ein Staubkorn stört. Kurz waschen und wieder einsetzen – und wuschhhh, der nächste Windstoss. Und weg ist das kleine durchsichtige Ding, auf dem Kiesplatz irgendwo wahrscheinlich innerhalb eines oder vielleicht zwei Quadratmeter. Über eine halbe Stunde knien wir auf dem Boden und suchen nach der Nadel im Heuhaufen. Wir wollen schon fast aufgeben und was sieht mein hölzernes Glasauge? Eine Linse – oder das was von ihr übrig geblieben ist. Zwei Stücke, genau dort wo ich vorhin aus Vorsicht hingetreten bin, da ich nicht zu nahe an Ariane heran wollte. Bis hierher ist sie wohl nicht geflogen, habe ich mir gedacht. Aber eben, genau so war es dann… Nun muss Ariane die Gegend etwas verschwommen anschauen – eine Brille hat sie leider nicht mitgenommen. Mal schauen was wir am Montag tun können…

Etwas bedrückt fahren wir noch ein paar Meilen weiter, bis nach Newhalem. Direkt fahren wir vor den kleinen Einkaufsladen und kaufen uns ein Süssgetränk. Das fliesst schnell die Kehle runter und schon fahren wir weiter auf den nahe gelegenen Campingplatz. Am Samstag ist es nicht einfach, ohne Reservation einen Platz zu finden. Aber wir haben Glück, es hat einen wunderschönen „Walk in“ Bereich, dort wo man mit dem Auto nicht dazu kommt. In diesem, Alani nennt ihn Märchenwald, finden wir einen schönen Platz für uns, einer der Letzten die noch zu haben sind. Inmitten von vielen Farnbüschen und mit Moos bewachsenen alten Bäumen können wir unser Zelt stellen, die grosse Bärenbox steht auch bereit. Wir befinden uns mal wieder im Bärengebiet. Kaum steht das Zelt, kochen wir uns eine Pfanne Teigwaren, wir sind fast am Verhungern. Und kaum sind wir fertig mit Essen, machen wir uns noch einmal auf zum Laden um weitere Teigwaren für’s Abendessen zu kaufen. Natürlich packe ich auch eine Dose Bier ein – nach so einem Tag muss ich einfach ein kühles Bierchen haben. „May I see your ID, please…“ – nicht schon wieder! Und ich lächle wieder verlegen, die ist auf dem Campground. „I’m sorry, I can’t sell it to you!“ Ich versuche diesen Witz mit einem höflichen Lächeln zu quittieren – aber ihr ist es todernst. Sie verräumt das Bier und ich sage ihr nur, dass ich mich sehr geschmeichelt fühle, dass sie mich als unter 21 jährig einschätzt. Sie tippt schön weiter in ihre Kasse, kein Lächeln und nichts… Tja, schnappe ich mir halt noch einen Ice-Tea und lasse mir von Lorin tröstend auf die Schulter klopfen. Hartes Los gezogen heute!

Draussen kommt eine Frau auf mich zu und fragt, ob sie mir das Bier kaufen soll. Oha, da hat jemand doch Erbarmen. Mit einem breiten Lächeln gehe ich mit ihr in den Laden zurück und rufe der Verkäuferin schon, dass Sie das Bier noch nicht in den Kühler zurück stellen soll. Die Frau hier möchte es haben und ich werde es bezahlen. No Problem – die nette Frau zückt ihre ID und ich das Geld. Alle sind zufrieden und niemand hat gegen das Gesetz verstossen. Lächerlich…

Zurück beim Campingplatz wird das Bier und die anderen Getränke genossen. Anschliessend gehen wir zum nahen Fluss und waschen uns – Baden kommt nicht in Frage, der ist eisig kalt! Und nun wiederholen sich die Tätigkeiten – Kocher hervor nehmen, Pastas kochen, Essen, Abwaschen… Essen und Trinken ist nach einem solchen Tag das Wichtigste und Schönste. Anschliessend gehen wir noch an einen Vortrag eines Rangers, welcher über das Ökosystem hier im Park und als Gesamtes spricht. Ein sehr guter Vortrag, bei welchen zum Teil sogar die Kinder folgen können. Und schon ist wieder Nachtruhe, rund um mich herrscht Stille und Finsternis. Etwas gespenstisch in diesem Märchenwald, ich bin nie sicher wie viele Augenpaare mich in diesem Moment von irgendwoher anstarren… Ich gehe lieber jetzt auch in den Schlafsack!

Es ist genau 22.00h und leider kann ich die Bilder hier draussen nicht auch noch uploaden – kommen dann später, sorry. Immerhin ganz wenig Empfang mit Natel 😉