03.08.2015 Rockport – Burlington, 79 km

Einmal mehr schlafen wir wie Steine, die ganze Nacht ist ruhig. Na gut, wenn man mal vom Schnarchen unserer Nachbarin absieht. Aber die stört uns zum Glück nur gerade die ersten paar Minuten, bevor wir einschlafen. Aber um noch ein bisschen bei diesem Thema zu bleiben, wir haben nicht immer in gutes Händchen bei der Auswahl unserer Zeltplätze. Meistens stellen wir unser Zelt in der Nähe eines Schnarchers auf. Und wie es so ist, die Zeltwände sind nicht wirklich Schallisoliert. Was soll’s, meistens sind wir müde genug um dies nach ein paar Minuten ausblenden zu können.

Die heutige Fahrt ist für mich – ich kann es eigentlich nicht sagen was für eine Fahrt es ist. Es ist weder Abenteuer, noch Entdeckung, noch Genuss – ich bin ganz ehrlich, heute ist einfach ein Tag an dem wir vorwärts kommen müssen. Nach einer unglaublich schönen und atemberaubenden Landschaft der letzten paar Tage durch den North Cascade National Park ist es natürlich auch nicht einfach dies zu übertreffen. Das Adrenalin in meinen Adern ist halt etwas verbraucht, heute wird wohl wieder etwas aufgeladen. Aber auch das muss sein, es kann sich nicht jeder Tag von neuem übertreffen. Und das ist auch gut so – man wird wieder einmal auf den Boden der Realität geholt, respektive man fährt durch ein etwas normaleres Gebiet, welches aber dennoch schön ist.

Ok, wir fahren also von Rockport los. Zuerst wieder einmal einen Hügel rauf, genau so, dass wir unsere Beine aufwecken und aufwärmen können. Die Lungenflügel werden ein paar Mal aufs Maximum aufgebläht und bald sind wir wieder im Rhythmus. Im Moment haben wir alle nur eins in unseren Gedanken – Concrete. Das ist eine kleine Stadt wie es hier heisst, für unsere Begriffe ein kleines Dörfchen und auf unserer Karte ist vermerkt, dass wir dort etwas zu Essen kaufen können. Wir haben grosse Hoffnung auf ein schönes Café mit leckeren Frühstücks-Leckerbissen. Und so schaffen wir die ersten gut 20 Kilometer ganz locker und ziemlich schnell. Auf der Fahrt kommt uns ein beladener Radfahrer entgegen und wir stoppen auf seiner Seite. Er führt einen Hund an seiner Leine, das Rad voll mit Taschen beladen und angehängt zieht er einen Anhänger für den Hund mit sich. Er ist ein pensionierter, erfahrener Tourenfahrer, hat bereits drei Mal die USA durchquert, ist einmal rund um Europa geradelt und hat noch viele andere Touren gemacht. Aber heute habe er einen Fehler gemacht, bei seinem Fahrradcomputer sind die Batterien leer. Ich schaue auf den Kilometerzähler, genau der gleiche wie Ariane auf ihrem Velo hat. Wir haben am ersten Tag neue Batterien gekauft, sie aber nie eingesetzt. Und nun können auch wir einmal einem Radfahrer aushelfen, wir suchen die beiden Batterien hervor und schenken sie ihm mit Freuden. Er will etwas bezahlen, doch wir sagen ihm, wir seien mit so viel Grosszügigkeit überschüttet worden, jetzt können wir einmal etwas zurück geben. Er bedankt sich herzlich bei uns und erzählt uns, dass er mit seinem früheren Hund über 16‘000 Meilen – also ca. 26‘000 Kilometer weit geradelt ist, bevor dieser mit nur 7 Jahren an einem Tumor gestorben ist. Der Hund heute ist 2 jährig und wird sich wohl auf dieser Tour, welche bis an den Lake Taho in Kalifornien geht, ans Tourenleben gewöhnen. Er ist momentan noch etwas verspielt, springt hin und her und an uns herauf und leckt an allem was sich irgendwo anerbietet. Es geht weiter, Concrete wartet auf uns… Logischerweise geht es, um die Old Town zu erreichen, ziemlich steil die Strasse rauf. Würden wir auf unserer Route bleiben, könnten wir unten auf der flachen Strasse bleiben. Aber eben, der Kaffee und das Essen ruft. Ausgepustet erreichen wir die Main Street, welche wir gemütlich runter fahren.

Wir kommen uns vor, als wären wir in einem Western Städtchen, resp. in einem Western Film. Wir als die Bösen und Gefürchteten, ganz alleine mitten auf der einzigen Strasse. Auf den Pferden reitend, im Mundwinkel einen Zahnstocher ganz langsam geht es vorbei am Verkaufsladen, am Sheriff’s Office, an der Bank u.s.w. Die Menschen haben sich hinter ihren Gardinen versteckt und beobachten uns von den oberen Stockwerken, keiner wagt es, sich uns in den Weg zu stellen. Nichts rührt sich, alles ist still. Nur eine Fliege schwirrt um meinen Kopf und nervt mich, aber ich lasse mir nichts anmerken. Im rechten Augenwinkel sehe ich, wie sich ein alter, grauer Kater an einem leeren Wasserfass seine Seite reibt. Einen Stock weiter oben wird ein neugieriger Junge vom Fenster weg gezerrt. Hinter der Häuserreihe dreht sich weit oben ein Windrad, welches von tief unten Wasser in den Brunnen pumpen soll. Keine Menschenseele weit und breit. Alles scheint auf den Show-Down zu warten… Und endlich, hier ist sie, die lange erhoffte Bäckerei – aber auch hier, zuerst kein Lebenszeichen. Wir sind nicht sicher ob da überhaupt etwas verkauft wird. Wir stellen unsere Pferde – äh, sorry, unsere Fahrräder vor der Bäckerei ab und treten ein. Und das Leben erwacht, ein frischer Bäckersduft weht durch unsere Nase, es sitzen nicht eingeschüchterte und lebensfrohe Menschen an den Tischen und hinter der Theke lacht uns ein Gesicht an und fragt uns nach unseren Wünschen. Ja, genau das haben wir gesucht…

Wir geniessen ein paar Leckereien und vor allem ein paar Tassen Kaffee. Wie schön ist es doch, am Morgen etwas feines in den Magen zu kriegen. Es eilt nicht, wir verbringen eine ganze Weile in diesem Café und trotz vollen Bäuchen möchten wir noch Dieses und Jenes ausprobieren. Und dann setzt zum Glück doch noch die Vernunft ein. Nach ein paar Gesprächen mit Fahrradinteressierten Menschen fahren wir etwas weiter zum Supermarkt, wo wir unsere aufgebrauchte Notverpflegung ersetzen. Und endlich können wir auf die Nebenstrasse ohne jeglichen Verkehr abbiegen. Wir fahren durch einen herrlichen Regenwald, alles voll mit Moos, Farn und sonstigem Grünzeugs. Alles ist total zugewachsen und wir können so im Schatten und ohne Gegenwind fahren. Wir sind total geschützt, wie in einem Tunnel. Aber wie ich schon erwähnt habe, ich möchte am liebsten schon am Ziel sein und heute ist es für mich schon fast ein Muss. Eine kleine Krise, welche aber aus Erfahrung schnell vorüber sein wird.

Endlich treffen wir in Sedro Woolley, dem offiziellen Ende unserer ersten Radtouren-Karte ein. Ein hübsches Städtchen mit einer typischen Main Street, schönen Blumen und einfach sauberen Strassen. Vor dem alten Supermarkt stellen wir unsere Fahrräder hin und schon stehen zwei ältere Herren bei uns. Der eine hat kaum mehr Zähne im Mund, ist aber genauso interessiert über unsere Tour wie der Andere. Der Zahnlose stellt seine Fragen und wünscht uns dann eine gute Weiterreise, der Andere wartet geduldig, bis er seine Fragen stellen kann. Ariane und die Kinder gehen schon mal rein in den Laden, während ich noch weitere ca. 15 Minuten mit dem Anderen spreche. Ich erfahre, dass der Andere einen Namen hat und seine Vorfahren aus Deutschland kommen. Sein Nachname ist „Giessen“, wie die gleichnamige Stadt nördlich von Frankfurt. Mr. Giessen ist von unserer Reise fasziniert und erzählt mir unter anderem über seine Motorradreisen mit seinem Girl. Irgendwie kann ich mich doch noch aus dem Gespräch winden und er sagt – oh ja, klar, du musst doch was essen und trinken. So verabschieden wir uns und drinnen treffe ich auf die wartende Familie. Wir bestellen uns ein paar Sandwiches und nehmen Süssgetränke aus dem Kühler. Mr. Giessen währenddessen, füllt seine Kaffeetasse und verschwindet unaufmerksam durch eine der Türen auf die Strasse. Wir wollen bezahlen und die Lady hinter der Kasse sagt: Oh, der Mann der eben durch die Türe raus gegangen ist hat bereits für euer Essen und Trinken bezahlt. Ich schaue mich um und will ihm für alles danken – aber er ist wie vom Erdboden verschluckt. Mr. Giessen, wenn Sie das hier lesen (was ich kaum glaube), dann bedanken wir uns doch ganz, ganz herzlich für Ihre Grosszügigkeit! Wir geniessen die Sandwiches und Getränke im kühlen Supermarkt und glauben es kaum, dass uns jemand praktisch unerkannt eingeladen hat.

Es geht weiter über eine wiederum unbefahrene Nebenstrasse. Nach ca. 40 Minuten erreichen wir den lange ersehnten Campingplatz, einen KOA (Kamping of America – wie ich schon in einem früheren Bericht erwähnt habe, Kamping mit „K“ 😉 Die Kinder haben sich vor der Reise gewünscht, einmal in einem Cabin übernachten zu können, und heute ist es soweit. Schon vor 2 Jahren haben wir den 1. August in einem Cabin gefeiert und da wir in den letzten Tagen total abseits von irgend einem Cabin geschlafen haben, holen wir dies nun hier nach. Die leuchtenden Augen der Kinder – ein richtiges Highlight des Tages. Sobald wir alles eingeräumt haben, gehen wir auf den Minigolf Platz des Campingplatzes und spielen gegeneinander ein Spiel. Wer gewonnen oder verloren hat, das tut hier nichts zur Sache (unter uns, der Schreiber war wirklich „Spitzenklasse „ ;-)))

Anschliessend gehen Ariane und die Kinder ins Hallenbad schwimmen und ich fahre zur nahe gelegenen Tankstelle um endlich unseren Kocher zu tanken. Aber wie könnte es anders sein, unterhalb der Tankstelle befindet sich ein ca. 400 Meter langer, 10 % ansteigender Hügel. Na ja, wir haben ja schon anderes geschafft… Zurück auf dem Campingplatz geniesse ich ein kaltes Bierchen (oder ich sollte wohl sagen Bier – der Doseninhalt ist sage und schreibe 0.946 Liter…). Wir essen einen Sack Chips auf unserem kleinen Balkon und geniessen die Ruhe. Und so sollte es weiter gehen. Ich koche auf unserem kleinen Kocher Kartoffelstock, Bohnen und Steaks. Ariane macht einen feinen Salat – endlich wieder einmal ein Essen ohne Pastas. Doch gerade als wir zum Essen vor unserem Cabin absitzen, startet unser Nachbar mit seinem 6 Liter riesen Pick-up seinen Motor, während dem seine Frau hinten auf der Ladefläche den Besen hervor nimmt und beginnt, diese zu putzen. Wieso muss denn da der Motor laufen, fragen wir uns. Tatsächlich läuft dieser während den nächsten 30 Minuten. Die Türen sind offen – es kann sich also nicht ums Abkühlen des Innenraumes handeln. Drinnen sitzen zwei Typen und lesen eine Strassenkarte, während sie immer noch die Ladefläche schrubbt. Unglaublich diese Ignoranten, zwischendurch gibt der Typ am Steuer noch ein, zwei Mal tüchtig Gas, natürlich im Leerlauf. Nach einer halben Stunde fährt er los und parkiert sein Riesenmonster ein paar Meter weiter unten. Es hat wohl in den letzten Minuten ohne irgendwelche Strecke zu fahren, mindestens 4 Liter Diesel verbraucht. Wir können das einfach nicht begreifen was diese Typen sich dabei denken. Aber die Geschichte geht noch weiter…

Wir spielen noch eine Runde Volleyball auf dem Spielfeld, bevor wir unsere wohlverdiente Dusche nehmen. Und nun zur Fortsetzung der Geschichte – ich sitze nun schon wieder seit über einer halben Stunde vor unserem Cabin, und der Kollege des Typen mit dem 6 Liter Riesenmonster, hat vor eben dieser halben Stunde sein wahrscheinlich 6,5 Liter Supermonster gestartet. Das röchelt nun vor sich hin, die Türen sind geöffnet, keiner sitzt drinnen, keiner steht draussen – die sitzen wohl im Wohnwagen und der Motor röchelt weiter. Und gerade in dieser Minute ist er wieder raus gekommen und stellt das Ding ohne einen Zentimeter gefahren zu sein wieder ab. Hallooooo???? Was soll das? Wo sind wir hier? Ich glaube, die haben ihre Autos mit einem Hund verwechselt. Die denken wohl, wenn sie heute den ganzen Tag hier auf dem Campingplatz gestanden sind und keine Bewegung gehabt haben, müssen sie doch noch wenigstens etwas den Motor warm laufen lassen. Na ja, jetzt ist zum Glück wieder Ruhe eingekehrt und vor mir steht ein Gläschen Rotwein – ich bin wieder zufrieden…

PS: es tut mir so Leid, ich würde so gerne ein paar Bilder online stellen, aber hier ist alles ein bisschen zu langsam, oder wahrscheinlich haben andere Camper die gleiche Idee wie ich… Irgendwann könnt ihr euch aber auch an den visuellen Reizen erfreuen – vorerst müsst ihr halt mal mit den laaaaangen Berichten vorlieb nehmen 😉