05.08.2015 Ruhetag auf Lopez Island und San Juan Island, ca. 35 km

Da Lorrie, die Frau, welche wir vor 18 Jahren hier auf Lopez Island kennen gelernt haben, erst heute Abend Zeit für ein kurzes Treffen hat, haben wir uns gestern entschieden, heute einen Ruhetag einzulegen. Was kann man denn auf einer so kleinen Insel machen? Na ja, wenn das Wetter toll ist, dann kann man natürlich im Meer baden oder mit dem Velo um die Insel fahren oder einfach auf dem Campingplatz ein bisschen „chillen“, wie die Jungen heute sagen. Baden fällt heute definitiv ins Wasser, denn der Himmel ist mit sehr tiefen, dunkelgrauen Wolken bedeckt und ein ziemlich kalter Wind zieht über die Insel hinweg. Somit ist auch eine Velotour nicht das Gelbe vom Ei und hier rum „chillen“, das würden wir nicht aushalten – es würde wohl etwas zu langweilig.

Um 10.00h fährt die Fähre nach Friday Harbor auf der Insel San Juan. Also machen wir doch dorthin einen Ausflug. Und wenn wir Glück haben, sehen wir noch einen Orca oder einen Buckelwal, welche sich zu dieser Jahreszeit hier tummeln und gerade gestern wieder gesichtet worden sind. Wir können aber hier nicht vom Campingplatz weg, bevor wir nicht beim Ranger gewesen sind. Unser momentaner Platz ist nämlich für die nächste Nacht reserviert und eine Nacht länger auf diesem Campingplatz bedeutet für uns, das Zelt zu zügeln. Aber wohin kann uns der Ranger erst heute um 8.30h sagen. Wir haben Glück, denn wir können auf den Nachbarsplatz, welcher aber trotz des „Nachbar-Status“ ca. 150 Meter vom jetzigen entfernt liegt. Und da die Zeit schon fortgeschritten ist und wir noch ca. 9 km zur Fähre radeln müssen, ist Beeilung angesagt. Wir rennen alle voll beladen mit Packtaschen die Strasse runter, leer weder rauf und am Schluss tragen Ariane und ich das mit Mätteli und Schlafsäcken gefüllte Zelt an den Zeltstangen die Strasse wieder runter. Das ist ein Bild zum Lachen, aber uns ist nicht zum Lachen zumute, denn wir wollen möglichst schnell fertig sein, damit wir die Fähre nicht verpassen.

Diese Aktion haben wir in Rekordzeit abgeschlossen und nun jagen wir zum Teil gegen den Wind und ein paar ziemlich happige Anstiege bezwingend dem Fährhafen entgegen. Unterwegs sehen wir ganz viele andere Radfahrer, die einen mit dem Rennrad, die anderen mit voll beladenen Fahrrädern auch in die gleiche Richtung strampeln, auch die wollen die Fähre erreichen. Wir sind ca. 10 Minuten vor Abfahrt dort und es stehen schon ca. 30 Gümmeler dort. Kaum stellen wir unsere Packesel hin, werden wir von allen Seiten belagert. Ein ziemlich sportlich aussehender Radler kommt erfreut zu uns und fragt uns, ob wir tatsächlich aus der Schweiz kommen. Er war gerade vor ein paar Wochen in Lyss bei Freunden. Er selber ist Amerikaner, geht aber sehr oft in die Alpen Rennrad fahren. Bevor er bei seinen Freunden in Lyss war, sei er durch die Dolomiten gefahren. Andere wollten alles über unsere Fahrräder wissen, wiederum andere alles über unsere Tour. Fragen über Fragen und viele staunende Gesichter wegen unseren speziellen Fahrrädern. Diese Rennrad-Gruppe geht heute nach Orcas Island, wo sie den höchsten Berg der ganzen Inselgruppe bezwingen wollen.

Schon bald können wir die Fähre besteigen und uns an die Wärme setzen. An einem Tisch packen wir unser Frühstück aus und essen genüsslich das typisch amerikanische – wenn nicht getoastet, gummige – Toastbrot mit Erdnussbutter und Konfitüre. Auch wenn man nicht wirklich radelt, ein paar Kalorien können nicht schaden 😉 Die Fahrt geht zuerst zur Shaw-Island, einer sehr spärlich besiedelten Insel. Danach eine kurze Überfahrt nach Orcas Island. Hier geht die Rennrad-Gruppe von der Fähre und ein paar Autos, aber rein kommen mindestens 200 Fussgänger und einige Radfahrer und ziemlich viele Autos und Lastwagen. Der Passagierraum füllt sich und nach draussen wollen wir nicht wirklich, es beginnt zu regnen und ist schweinekalt.

Normalerweise steigen die Fussgänger und Fahrradfahrer zuerst aus, heute wird eine Durchsage gemacht, dass alle nicht motorisierten Fahrgäste noch im 1. Stock warten sollen und erst nach den Autos das Schiff verlassen werden. Welch ein Bild, als wir zusammen mit so vielen anderen die Fähre verlassen. Friday Harbor ist schon so gefüllt mit Touristen, und nun kommen noch so viele neue dazu. Uns ist ein bisschen mulmig zumute. Wenn wir an unsere bisherige Tour denken, als wir zum Beispiel in Goldendale im Café sassen, zusammen mit ein paar pensionierten Einwohnern, welche wahrscheinlich pro Woche mal einen oder zwei Touristen sehen – das ist heute ganz anders. Wir verziehen uns sofort in irgend eine Nebenstrasse und schauen mal auf die Karte. Hier werden wir von einer anderen Touristenfamilie angesprochen – sie haben uns vor ein paar Tagen oben in den Bergen im North Cascade Nationalpark gesehen und jetzt sehen sie uns hier wieder. Sie können es kaum glauben und dieses Mal sprechen sie uns an. Eine Familie mit zwei Kindern in ca. gleichem Alter wie Alani und Lorin, welche für 5 Wochen ihr Haus in Belgien mit einer Familie aus Portland getauscht haben. Neben dem Haus haben sie auch das Auto, welches sie benützen können. Tolle Sache, das wär auch mal was…

Völlig durchgefroren aber zum Glück trocken, setzen wir uns in einen Burger-Laden, welcher von Aussen aussieht wie eine hundslausige, billige und schäbige Abstiege. Drinnen aber wieder das „Original“-Volk, wie eben in Goldendale. Nur Einheimische alte aber auch junge Leute. Das Besitzer-Ehepaar total aufgestellt hinter dem Tresen – wir haben’s wieder einmal getroffen. Hier fühlen wir uns wohl und der Burger ist auch total fein. Eigentlich wollten wir auf der Insel zu einem Park, von dem aus man die Orcas sehen kann. Diese Woche waren sie jedenfalls schon da und wir wollten das natürlich auch sehen. Doch leider haben wir erst auf der Fähre den Fahrplan so richtig studiert und herausgefunden, dass wir nur gerade knappe 3 Stunden Zeit auf der Insel haben. Etwas kurz um noch je 15 km hin und zurück zu radeln. Also begnügen wir uns noch mit einem kurzen Besuch im Wal Museum. Hier werden wir in breitem Berndeutsch begrüsst. Eine Frau aus Ersigen, welche vor 16 Jahren nach Los Angeles ausgewandert ist und seit 1,5 Jahren hier auf der Insel wohnt und arbeitet. Wir erzählen ihr von wo wir kommen und sie lacht und sagt, dass ihr Vater ein Dorf neben uns wohnt. Kleine Welt…

Das Museum hat genau die richtige Grösse für die uns zur Verfügung stehende Zeit. Danach geht’s schon wieder runter zur Fähre und wir sind die Letzten welche noch drauf hüpfen. Erst bei der Abfahrt merken wir, dass wir auf der falschen Fähre sind, wobei diese auch auf Lopez hält. Doch eigentlich wollten wir erst 10 Minuten später und via die anderen Inseln zurück fahren. So geht es halt direkt zurück. Die Fahrt durch die vielen kleinen und unbewohnten Inseln ist wunderbar. Auf den bewohnten Inseln bestaunen wir die zum Teil wunderschönen Anwesen direkt am Meer. Herrlich.

Auf Lopez beginnt es wieder mit Regen und auf der Fahrt zurück zum Campingplatz müssen wir einmal kurz unter ein paar Bäumen anhalten, um nicht richtig nass zu werden. Doch nach einer knappen Minute können wir schon wieder weiter fahren und von nun an bleibt es trocken – aber dennoch kalt. Wir gehen vom Campingplatz noch einmal runter ans Meer, da wo wir schon gestern Abend gewesen sind. Hier geniessen wir das Spazieren am Strand und sammeln noch ein paar ganz schöne Steine. Und kurz später geht’s schon wieder aufs Velo. Wir fahren ins Lopez Village um dort in einem warmen Restaurant etwas zu essen. Die Kinder essen ihren zweiten Burger von heute, ich bin mit meinen ‚Fish & Chips‘ nicht gesünder unterwegs und Ariane macht den gescheitesten Zug und bestellt sich einen Ceasar Salad. Mit vollen Bäuchen geht es dann zu Lorrie, welche irgendwo an der Strasse, die hier vorbei führt wohnen sollte. Wir ahnen Böses, als wir die Hausnummern sehen. Sie wohnt in der 6363 und wir fahren gerade an der 2450 vorbei. Bei der spärlich bebauten Region könnte es sein, dass wir noch weit fahren müssen. Und so ist es, wir strampeln noch ca. 7 km weit – das ginge ja noch, wenn nicht noch ein richtiger „Killer-Hill“ dazu käme.

Total verschwitzt trotz der immer noch herrschenden Kälte, treffen wir bei Lorrie ein. Sie umarmt uns und will gar nicht mehr los lassen. Das letzte Mal vor 18 Jahren getroffen und nun sind wir wieder hier. Sie hat gestern Besuch aus Israel erhalten, welchen wir auch begrüssen und nun gehen wir rein in die warme Stube – es brennt ein Feuer im Kamin. Wow, so schön und gemütlich. Da sie nur 3 Tage die Woche hier auf der Insel arbeitet und 4 Tage die Woche auf Shaw-Island lebt, wohnt sie hier in einer Art Wohngemeinschaft. Lustig ist, dass der Besitzer des Hauses uns gestern bereits auf der Fähre gesehen hat. Er ist mit seinem Fahrrad auch auf die Insel gekommen und hat uns gesehen. Wir sind sogar nebeneinander gestanden und ich kann mich sofort an ihn erinnern. Hätte ich gestern doch ihn gefragt, ob er Lorrie kenne… Lorrie zeigt uns die ganze Umgebung, es ist eine Ziegenfarm, nebenan wohnt eine 5 Köpfige Familie und noch zwei andere Leute – wie eine kleine Dorfgemeinschaft. Danach gibt es feines Eis von der Insel mit frisch gelesenen Brombeeren. Die beiden Frauen aus Israel haben sie heute für uns abgelesen. Mmmmh, es schmeckt super fein! Es sind alle sehr Interessiert was wir machen, wie wir reisen und warum wir ausgerechnet in die USA verreisen. Die beiden Israelinnen können es kaum fassen was wir mit den Fahrrädern alles machen. Ein toller und interessanter Abend. Die Kinder gehen mit Lorrie noch einmal zum Ziegenstall. Dort werden die Ziegen gerade gemolken. Und nun dürfen auch sie mal ausprobieren – Alani schafft es gerade beim ersten Versuch. Auch bei Lorin klappt es nach einer kurzen Zeit – die beiden melken Ziegen und Ariane und ich geniessen noch das restliche Eiscreme.

Draussen ein herrlicher Sonnenuntergang, die Wolken sind sich am Auflösen, aber wir müssen uns nun beeilen. Die Dämmerung hier ist sehr kurz und wir möchten nicht unbedingt im Dunkeln radeln. Es liegen noch einige Kilometer vor uns. Also machen wir noch ein paar Erinnerungsfotos und verabschieden uns herzlich von allen. Vollgas und mit Leuchtwesten und Stirnlampen ausgerüstet fahren wir noch ca. 30 Minuten zurück zum Campingplatz. Lorrie war etwas besorgt wegen dem vielen Verkehr – doch während der ganzen Fahrt sehen wir 3 Autos. Ich glaube wir haben schon Gefährlicheres erlebt. Ein toller Tag geht wieder zu Ende, was wird uns Morgen wohl erwarten? Warmshower-Gastgeber sind jedenfalls schon gefunden…