08.08.2015 Port Hadlock – Sequim, 73 km

Wenn wir an das Klima vor 2 Wochen denken, dann hat sich nun alles total verändert. Wir haben kühle Nächte (obschon die vergangene Nacht nicht wirklich kalt war) und vor allem am Morgen das erste Mal auf dieser Reise ein feuchtes Zelt. Wenn wir auf die vor uns liegende Bucht schauen, dann sehen wir die sehr tiefen Nebelschwaden über dem ruhigen Wasser hängen. Schon fast ein herbstlicher Morgen den wir hier erleben. Und tatsächlich, die feuchte Luft macht alles viel kühler und relativ unangenehm.

Wir packen zusammen, essen Frühstück und Laden die Velos. Aber nicht ohne wieder in ein Gespräch verwickelt zu werden. R.C. von nebenan kommt wieder vorbei und ich kann Ariane nicht mehr helfen die Sachen auf die Velos zu verladen. Er ist wirklich ein netter Kerl, aber leider komme ich so nicht zum Laden und wir kommen hier wahrscheinlich nicht mehr weg. Er macht noch zwei, drei Fotos von uns allen und wünscht uns in Französisch eine gute Reise. 20 Meter weiter müssen wir schon wieder anhalten und dem Camping Host an die Türe seines RV’s klopfen. Er will unbedingt auch ein Foto von uns, seine Tochter werde ausflippen. Ein richtig toller Host, er hat riesig Spass an uns und wir an ihm. Sein Lachen nimmt sein Ganzes Gesicht in Beschlag und das macht ihn so sehr sympathisch.

Wir fahren ein paar Kilometer der gestrigen Strecke zurück und bald darauf auf einer Strasse mit breitem Seitenstreifen und wenig Samstagsverkehr in Richtung Süden. Eine angenehme Fahrt welche uns trotz der nicht wirklich steilen Anstiege zwischendurch so richtig ins Schwitzen bringt. Ein weiterer Nachteil der feuchten Luft – bei mir regnet es schon fast von der Stirne. Wir fahren ca. 25 Kilometer total Abseits des grossen Verkehrs und sehen kaum ein Auto. Einen ziemlich langen Aufstieg haben wir zu bewältigen und hier lasse ich dem Schweiss so richtig freien Lauf… Umso schöner als wir oben stehen. Die Abfahrt ist natürlich schnell und dementsprechend von kurzer Dauer. Schon bald treffen wir wieder auf den Highway 20 und somit auf viel Verkehr. Aber wir haben einen sehr breiten Seitenstreifen und vor allem geht es auch hier immer noch runter. Wir sind genug schnell, so dass uns keiner überholt.

Und nun ist es soweit. Vor einigen Tagen hat uns ein Fahrradfahrer, welcher gerade zum Washington Pass rauf gefahren ist (der mit seinem Hund) gesagt, dass wir noch einen ganz tollen Burger-Place treffen werden. Und hier ist er also – vor dem lustigen Restaurand, respektive der kleinen Bar, steht ein ca. 3 Meter hoher Hamburger aus Holz. Hier können wir einfach nicht durch fahren, die Kinder sind schon seit Tagen am Fragen, wann wir denn an diesem Restaurant vorbei kommen. Also stoppen wir hier für einen frühen Lunch. In der Bar trifft uns fast der Schlag – es gibt an den Wänden und der Decke keinen einzigen Zentimeter, welcher nicht mit einer 1 US$ Note abgedeckt ist. Teilweise sind so viele Noten übereinander gepinnt, dass es schon fast so dick ist wie ein Buch. Jede Note ist mit Filzstift angemalt und trägt seine eigene Message. Wow, alleine die „Noten-Tapete“ ist einige Tausend Dollar wert… Ariane und ich bestellen den „Haus“-Hamburger und eine kurze Zeit später wird dieser uns serviert. Wow, noch nie hatte ich vorher einen solchen Burger auf dem Tisch. Natürlich ist es ein Doppelburger, mit Tomaten, Gurken, grossen Speck-Tranchen, Käse und viel, viel Fleisch. Es ist unmöglich, diesen irgendwie auf konventionelle Art und Weise zu verspeisen – geschweige denn ohne Schweinerei zu hinterlassen. Es saftet und tropft was das Zeugs hält – aber es ist feeeeeeein! Die Kinder geniessen zum x-ten Mal ihren eigenen Burger. Ist ja klar, dass sie sich nur von Burgern ernähren, wenn es ihnen die Alten vormachen…

Mit übervollen Bäuchen geht die Fahrt weiter, nun fahren wir auf dem alten Highway und wiederum ohne Verkehr. Zwei junge Kanadier mit ziemlich viel Gepäck fahren uns entgegen und stoppen um einen kurzen Schwatz zu halten. Sie sind von unseren Bikes total begeistert und sagen uns, dass wir uns auf eine schöne Fahrt auf dem Olympic Discovery Bike Path freuen können. Dieser führt über mehr als 100 Meilen bis an die Küste in La Push – nur für Radfahrer, Reiter und Fussgänger. Und schon bald finden wir diesen super schönen Trail und wir freuen uns sehr, dass wir nun wirklich für uns fahren können. Schon bald stoppen wir einmal mehr. Weit oben auf einer Tannenspitze sitzt ein prächtiger und riesiger Weisskopf-Seeadler. Ein herrliches Tier, sehr elegant und majestätisch wie es runter auf die Bay schaut. Leider hat er gerade keinen Ausflug geplant, und wir können seine Flügelspannweite nur erahnen. Weiter geht es immer auf dem Trail, wir können nebeneinander fahren und geniessen es wirklich. Kurz vor Sequim müssen wir uns für 3 Minuten bei einem Gemeindehaus unter stellen. Es regnet kurz und nicht sehr heftig und schon geht die Fahrt weiter. Wir haben nur noch ein paar Kilometer bis zu unserem heutigen Warmshower Host. Er wohnt direkt an diesem Trail und scheint ein ziemlich grosses Anwesen zu haben.

Wir finden Lonnie schon bald, eigentlich haben wir eine Frau erwartet, aber wegen seinem Schnauz stellt sich sehr schnell heraus, dass es sich bei Lonnie um einen Mann handelt. Die Kinder sind irgendwie verwirrt, habe ich doch die ganze Zeit von einer Frau gesprochen. Lonnie hat sich aus einem grösseren Stück Land, ohne irgendwelche Bepflanzung oder Ähnlichem ein wunderbares Anwesen mit vielen Fruchtbäumen und einem grossen Garten geschaffen. Jedes Gebäude – und es sind einige – hat er ganz alleine aufgebaut. Die Materialien sind aus den Trödelmärkten zusammengekauft oder wurden ihm geschenkt. Und trotz seiner exakten und tollen Bauweise sieht halt alles ein bisschen unordentlich und vielleicht etwas schmuddelig aus. Doch wir merken schnell, dass vielleicht der Geschmack in dem uns zugewiesenen Cabin etwas eigenartig ist – man sich jedoch daran gewöhnen wird. Es ist grundsätzlich sauber und mit Liebe gemacht. Lonnie ist ein wirklich liebenswürdiger Mensch, auch ihn würde man eher als schmuddelig bezeichnen. Aber wir haben auf unseren Reisen zum Glück schon ein paar Sachen gelernt – man sollte die Menschen niemals nach ihrem Äusseren beurteilen. Er ist 70 jährig und hat in den letzten 3 Monaten über 300 Gäste in seinen Cabins gehabt. Er kocht für alle in seinem selbst gebauten Pizza-Ofen (super toll gebaut) oder auf dem Grill. Und als Dank will er – NICHTS! Alles ist gratis, sogar das Bier, die Würste und vor allem aber seine Früchte und das Gemüse aus dem Garten. Er ist zufrieden wenn er Gäste hat, welche ihm von der weiten Welt erzählen. Er selber ist hier in der Region aufgewachsen, hat 32 Jahre in der gleichen Papierfabrik gearbeitet und sich immer auch um andere kümmert. Bis vor Kurzem hat er exotische Vögel gezüchtet, jetzt hat er noch drei ziemlich schmutzige und eher eklig riechende Hunde – aber auch die sind wie ihr Herrchen sehr liebenswürdig.

Ich will vor dem Duschen noch einige Getränke im Country Store, ca. 1 Meile entfernt, einkaufen. Lonnie sagt, ich solle mich jetzt ausruhen und nicht mehr aufs Velo steigen. Er fährt mich diese Meile die Strasse runter. Als Dank gibt es heute ein paar Biere und etwas Rotwein. Zurück auf seinem Anwesen werden Hot-Dogs auf dem Grill gebraten und gemeinsam geniessen wir diesen wiederum nicht sehr gesunden Food. Während wir nach dem Essen noch über Dieses und Jenes plaudern, turnen die Kinder in der extra aufgebauten Open-Air Bühne. Morgen wäre hier ein live Konzert mit Musikern von der Region. Lonnie bringt noch das vorhin innerhalb 5 Minuten gemixte (aber ohne Fertigmischung) und dann gebackene Bananen-Brot hervor. Mmh, welch wunderbares Dessert – es ist nichts anderes als ein Bananen-Cake mit Choco-Chips, noch warm und einfach super fein.

Später treffen noch zwei weitere Gäste ein – zwei junge Typen aus Bellingham, nördlich von Seattle. Der Eine ist ca. 2 Meter hoch, der Andere kleiner als ich dafür ca. doppelt so breit – aber wegen den Muskeln nicht wegen falscher Ernährung. Die beiden sind voll die Action-Typen, springen ab Felsenkliffs, Wandern, Reisen und geniessen ihre Freiheit. Heute waren sie auf dem Wellenbrett was sie unbedingt mal ausprobieren wollten – mit mässigem Erfolg. Der Lange – ich kann mich gerade nicht mehr an seinen Namen erinnern – der war schon zwei Mal in der Schweiz. Vor allem Grindelwald hat es ihm angetan. Er war viele Tage dort oben und hat einige Wanderungen und vor allem auch eine Übernachtung am Fusse des Eigers, in einem selber gebauten Iglu verbracht. Er liebt Grindelwald und die Schweiz über alles. Er habe keine Quittung, kein Billett und nicht das Geringste was er aus der Schweiz mitgebracht hat weggeschmissen. Er habe sogar über seinen ganzen Rücken ein Schweizer-Kreuz tätowiert. Er erzählt uns mit glänzenden Augen über seine Reisen in der Schweiz und wo er was unternommen hatte. Vor allem würde er am liebsten die Firma Rivella aufkaufen, er könnte nur noch Rivella trinken – sein Leben lang. Er hat sogar schon versucht, Rivella hierher zu importieren, er sei aber Erfolglos geblieben. Dies alles erzählt er uns übrigens an einem Lagerfeuer, was hier im ganzen Staat eigentlich vollkommen verboten ist. Aber Lonnie kümmert es nicht und vor allem hat er hier alles schön gut bewässert. Ich nehme nicht an, dass auf seinem Land ein Buschbrand ausbrechen könnte. Mit einem Glas Wein, vielen Erzählungen und Geschichten lassen wir diesen Abend am Lagerfeuer ausklingen.

…und während ich diesen Bericht schreibe, bin ich mindestens 3 Mal über der Tastatur eingeschlafen. Jetzt ist genug, ich schreibe morgen wieder…