10.08.2015 Elwha Campground – Hungry Bear Campground, 82 km

Gestern war ich wirklich irgendwie am Hadern, was wir wohl machen sollen. Ich habe es ja geschrieben. Heute Morgen wollten wir mit dem Bus einen Ausflug nach Forks machen – nur um den Tag zu überbrücken, die Wettervorhersage war ziemlich schlecht. Aber was sollen wir in Forks machen? Eine scheinbar nicht sehr eindrückliche, kleine Stadt und vor allem der Bus zurück würde uns erst 4 Stunden nach der Ankunft wieder zurück bringen. Anschluss an den Bus zur Küste gibt es nicht – oder erst am Nachmittag nach 16.00h. So lassen wir uns erst um 8.00h wecken, wir haben uns nicht zu beeilen.

Bevor die anderen aus dem Schlaf gerissen werden, schaue ich mal aufs Handy und sehe, dass wir einen Gästebucheintrag von Brigitte Saner erhalten haben. Erst einmal ganz herzlichen Dank und sowieso… Brigitte, du hast uns den Tag und wahrscheinlich auch die nächsten Tage gerettet. Mit deinem Eintrag hast du uns Mut gemacht, an unserem ursprünglichen Plan festzuhalten und einfach weiter zu fahren. An U-Haul-Miete habe ich auch gedacht, aber eigentlich für die Rückfahrt nach Port Townsend. An die Miete unten in Aberdeen oder an einem anderen südlichen Ort haben wir schlichtweg nicht gedacht. Eine so einfache Lösung nach so viel Studieren. Nun muss ich dies auch noch Ariane erzählen, wecke sie und kaum habe ich diesen Vorschlag durchgegeben, ist sie schon am Packen ihres Schlafsacks. Wow, das ist ein deutliches Zeichen, heute fahren wir also weiter 😉 Vielen Dank Brigitte!!! Und auch per WhatsApp haben wir von Joli einen aufmunternden Eintrag erhalten – einfach weiter fahren, es wird alles gut kommen. Merci Joli!

Nun ist die Entscheidung gefallen, die Kinder haben im Halbschlaf mitgehört und – sorry Brigitte – ihnen hast du mit diesem Vorschlag keinen guten Start in den Tag gebracht. Sie sind gar nicht begeistert, irgendwie haben sie sich auf die Rückfahrt eingestellt. Dass wir mit diesem Entscheid eine neue Strecke und nicht wieder die gesehene Strasse zurück fahren, das interessiert sie im Moment nicht. Wieso sie nicht hinter diesem Vorschlag stehen können, hat bei Alani anscheinend einen „Pubertäts-Grund“, sie muss momentan einfach an ihren Sachen resp. Gedanken festhalten. Erklärbare Gründe gibt es keine. Bei Lorin sieht es etwas anders aus. Ich habe ihm schon zu Hause von den parkierten Flugzeugträgern in Bremerton erzählt – und die will er nun einfach unbedingt sehen (ich übrigens auch). Aber wenn wir dann einen Transporter mieten, dann fahren wir kaum dort durch. Aber wir werden sehen, irgendwie werden wir vielleicht den Weg dorthin doch noch schaffen. Jedenfalls ist er nach ziemlich traurigen 10 Minuten wieder voller Elan und freut sich auf die Weiterfahrt. Übrigens, nach den ersten 200 Metern auf dem Velo hat Alani ihre gute Laune wieder hervor geholt und singt, erzählt und dichtet fröhlich, als wäre nichts geschehen – verstehe das wer kann… ich kann’s nicht!

Wir sind heute etwas langsam beim Packen und Laden, darum sind wir erst um halb elf auf der Strasse. Und wir wissen, es werden lange 80 Kilometer bis zum Campground. Aber unsere Beine sind fit, der Morgen kühl und der Himmel mit Wolken verhangen. Doch immer mehr traut sich die Sonne durch und es wird schon bald ziemlich warm und vor allem sehr feucht. Ich tropfe bei den vielen kurzen Aufstiegen wie ein Weltmeister, mein frisches Veloshirt ist schon nach ein paar Kilometern total nass vom Schweiss. Wir haben nicht viel Verkehr auf der Strasse, aber immer wieder kommen uns voll beladene LKW’s mit tonnenweise Baumstämmen entgegen. Leer überholen sie uns dann von hinten. Sie sind schnell, aber sie geben uns genügend Platz. Wir sehen immer wieder, wie sie einander funken und wir denken, dass sie sich gegenseitig über unsere Anwesenheit informieren. Die Camperfahrer sind da schon weniger vorsichtig – aber wir sind alles in allem zufrieden.

Plötzlich steht ein Auto an der Seite, zwei Leute steigen aus und wir sind nicht ganz sicher, ob sie uns etwas sagen wollen oder ob sie sonst was machen wollen. Plötzlich ruft sie: „hopp Schwiiz, hopp Schwiiz“ – wir bremsen natürlich und stoppen bei ihnen, wieder einmal Schweizerdeutsch sprechen, das ist doch auch mal was. Es sind Brigitte und Joe aus Seuzach. Sie sind während 8 Wochen mehrheitlich auch hier im Staat Washington in den Ferien. Es ist schön mit ihnen zu plaudern und einige Erfahrungen auszutauschen. Wir hören aus ihren Erzählungen, dass sie auch Fans von den USA sind. Joe plant die Reisen zum Fotografieren – so wie ich das verstanden habe. Er betont zwar, dass er „nur“ ein Hobbyfotograf sei, aber auf seiner Visitenkarte kann ich ein paar Bilder sehen, die eine saubere Professionalität aufweisen. Wir versprechen uns, dass wir uns über Email kontaktieren werden und wir hoffen sehr, dass wir das nette Paar einmal in der Schweiz treffen werden.

Nun geht die Fahrt immer wieder rauf und runter. Ich mag lieber, wenn ich während einer gewissen Zeit – auch wenn es 3 Stunden sind – rauf fahren kann. Aber das rauf und runter bereitet mir irgendwie Mühe. Vor allem auch wenn ich Ariane und Lorin sehe, sie ziehen jeweils bei den Aufstiegen davon wie ein Ausreisser bei der Tour de France. Unglaublich, innerhalb 50 Metern können die mir 10 Meter locker abnehmen. Ich muss noch ein bisschen trainieren…

Nach einer tollen Abfahrt stoppen wir an einem verlassenen Strand, setzen uns und schauen rüber nach Vancouver Island, nach Kanada. Zwei Meerdampfer tuckern langsam vorüber und Lorin und ich machen ein Wettkampf im Steine „schiefern“. Wow, hier hat es super flache und runde Steine und die gehen sicher an die 50 Meter weit ins total flache Meer – wahrscheinlich schlagen sie gegen 20 Mal auf dem Wasser auf, bevor sie dann in die Tiefe sinken. Natürlich verpflegen wir uns auch mit einigen Kalorien und ruhen unsere Beine aus. Der nächste Aufstieg wird etwas länger sein und ca. 200 Höhenmeter rauf gehen. Nicht so viel, aber die Beine freuen sich dennoch nicht so fest darauf.

Ausgeruht gehen wir diesen Aufstieg an und nach ca. 30 – 40 Minuten haben wir auch dies geschafft. Von nun an geht es immer ganz leicht runter, immer mit 22 – 28 km/h – das fägt. Links und rechts von uns ist nichts als Wald. Leider aber aufgeforsteter Wald, denn hier wurde viel „Logging“ betrieben und wird heute noch betrieben. Wenn wir die riesigen Baumstrünke sehen, z.T. sicher mit einem Durchmesser von über 6 Metern, dann staunen wir nur. Wie wäre es schön gewesen, durch einen intakten Wald mit solchen Riesen zu radeln. So sehen wir halt den jungen Mischwald und stellen uns die gewaltigen Douglasien von damals nur vor.

Endlich erreichen wir das angepeilte Ziel, doch das sieht aus als wäre da ein Hurrican durchgezogen und eine ganze Loggingmannschaft. Nichts als ein verwildertes Anwesen mit zwei Hütten und dem Schild, welches auf den ehemaligen Campingplatz hinweist. Was nun? Entweder weitere 30 Kilometer zum nächsten Campingplatz oder aber 3 Meilen auf der anderen Strasse zurück – die wir morgen wieder zurück strampeln müssen. Wir entscheiden uns für die 2. Variante, wir sind zu müde. Und so treffen wir ca. 20 Minuten später im Hungry Bear Campground ein. Ein wunderschöner Campingplatz, welcher vom Staat Washington unterhalten wird und welcher – wie wir von anderen Campern erfahren – gratis zur Verfügung steht. Wow, Alani flippt fast aus, als sie unter den ca. 40 Meter hohen Douglasien wieder einmal ein natürliches, GRÜNES Rasenstück entdeckt. Herrlich! Und dazu kommt, dass direkt nebenan eine Bar steht, welche anscheinend Burger serviert. Und nun packt auch Alani an beim Ausladen, Matten aufpumpen und Einräumen des Zeltes. Lorin hilft mir mit dem Zelt und wir sind sofort fertig, so dass wir nun in die Bar gehen können. Es werden riesige Burgers bestellt, Salat, Suppe und anschliessend absolut wahnsinns grosse Glacen zur Happy Hour – für gerade mal 1.99 US$ Bei uns würde eine solche Portion wahrscheinlich das 5 – 7 Fache kosten. Und natürlich gibt es für Ariane einen Homemade Pie – einen Rhabarber-Erdbeer-Kuchen mit Vanille-Eis und für mich ein kühles Bierchen. Was wollen wir mehr? Auf jeden Fall bereuen wir im Moment keine Sekunde unsere Entscheidung von heute Morgen und noch einmal, vielen Dank für die Ermunterung weiter zu radeln. Morgen geht es an die „offene“ Pazifik-Küste, bis dann…

…kurzer Nachtrag: habe gerade mit Mel Bridgman gesprochen, er war auch in der Bar und ist unser Zeltnachbar. Mel Bridgman kennt ihr nicht??? Sorry, ich kannte ihn auch nicht, aber ihr könnt hier nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Mel_Bridgman – die Kenner der NHL (National Hockey League) der 70er und 80er Jahre, kennen ihn vielleicht. Ein netter Typ, der sein letztes Hockey-Jahr beim HC Sitten gespielt hat. Ist ihm gut in Erinnerung, vor allem die Partys mit den Wallisern und dem Weisswein 😉

PS: die Streckenprofile sind auch bei den letzten Berichten wieder eingefügt. Leider immer noch keine Fotos – die kommen wahrscheinlich dann, wenn wir wieder zu Hause sind. Sorry!